Wie "real" darf die politische Kommunikation sein?

BeReal
Die App "BeReal" hat die Debatte um Authentizität im Internet erneut befeuert. © Josh Withers

Wie authentisch Menschen online sein können, ist umstritten. Der deutsche Influencer Fynn Kliemann behauptete, seine Follower:innen wüssten nahezu alles über ihn, er galt als besonders authentisch. Der Journalist Sascha Lobo wünschte sich bereits 2012, dass der Authentizitätswahn im Internet endlich abnehmen sollte. Das Thema ist also keinesfalls neu, wurde aber unter anderem durch das Erscheinen der App "BeReal" im Jahr 2020 erneut befeuert. Hierbei handelt es sich um eine französische App, die die Suche nach Authentizität auf eine neue Art und Weise bedient. 

Anders als andere neue Social Media Plattformen, scheint "BeReal" gekommen um zu bleiben. Im Juli 2022 überholte die App sogar Instagram und TikTok bei den wöchentlichen Downloadzahlen. Derzeit nutzen rund 10 Mio. Menschen die App täglich. Wir haben sie uns einmal genauer angeschaut. 

BeReal: Eine kurze Anleitung zur Nutzung

Nachdem Du die App heruntergeladen hast, erhältst Du jeden Tag zu einer anderen Uhrzeit eine Benachrichtigung auf Deinem Smartphone. Die Benachrichtigung „Es ist Zeit für ein BeReal" fordert Dich auf ein Foto zu posten. 

Klickst Du auf diese Aufforderung, öffnet sich die Kamera auf Deinem Handy. Danach hast Du zwei Minuten Zeit, um ein Bild mit der Außenkamera und eines mit der Selfiekamera aufzunehmen. Und jetzt ganz neu: Bist Du pünktlich, erhältst Du künftig mit dem "BonusBeReal" die Möglichkeit, zwei zusätzliche Fotos am Tag aufzunehmen, um noch mehr Situationen aus Deinem Alltag zu zeigen. Da der Sinn des Fotos ist „real“, also natürlich zu sein, fallen Filter im Gegensatz zu Instagram komplett weg. Aber: Wenn Du mit Deinem Foto nicht zufrieden bist, kannst Du ein neues machen - allerdings werden die benötigten Versuche für Deine abonnierten Kontakte sichtbar.

Und was passiert, nachdem ich das Bild gepostet habe? Sobald Du Dein BeReal hochgeladen hast, bekommen Deine Freunde eine Benachrichtigung. Sie können Dein Bild aber nur sehen, wenn sie selbst einen Post veröffentlicht haben. Neben dem Teilen mit Deinen eigenen Freunden kannst Du auch den "Discovery" Feed nutzen, wo Dein Bild zufällig anderen Nutzer:innen vorgeschlagen wird. Außerdem kannst Du entscheiden, ob der Standort mitgeteilt werden soll, auch eine kurze Beschreibung Deines BeReals ist möglich.

Nachdem Du Dein BeReal hochgeladen hast, hast Du die Möglichkeit, Dir die Posts Deiner Freunde anzusehen und zu reagieren. Entweder Du hinterlässt ein Foto von Dir (ein sogenanntes "RealMoji") oder Du kommentierst ganz einfach etwas unter ihrem Bild. 

Du hast die Benachrichtigung verpasst und bist zu spät dran? Kein Problem! Dann kannst Du ein sogenanntes Late machen. Aber denk dran: Du kannst erst sehen, was andere gepostet haben, wenn Du selbst ein Foto hochgeladen hast.

BeReal: Authentizität und Intimität

Der Name ist Programm: Mit "BeReal. Deine Freunde in echt" wird (vermeintliche) Intimität erzeugt. Die vornehmlich authentischen Fotos sorgen für eine große Identifikationsfläche und für eine enge Bindung zwischen Produzent und Konsument. Im Arbeitsumfeld beispielsweise von Politiker:innen ist die App zum Beispiel für "Behind the Scenes" geeignet oder für Unternehmen, um ihren Onlineauftritt zu emotionalisieren und zu personalisieren, indem beispielsweise Mitarbeiter:innen bei ihrer täglichen Arbeit ein BeReal posten.

Gut zu wissen: Jedes BeReal kann nach dem Aufnehmen wieder vollständig gelöscht werden. Auf seinem eigenen Profil sieht man einen Kalender mit den angefertigten BeReals (dieser ist allerdings nur für den Accountinhaber sichtbar). Unangemessene Inhalte anderer Personen können ganz einfach innerhalb der App gemeldet werden.

BeReal Kalender

Kalenderansicht in BeReal

BeReal und die politische Kommunikation

Nicht nur, aber auch für Politiker:innen relevant zu wissen ist, welche Zielgruppe auf BeReal anzutreffen ist. Ähnlich wie Instagram ist die Nutzung von BeReal für User ab 13 Jahren empfohlen. Ein Nachteil von BeReal insbesondere für Parteien, die eine hohe Reichweite erzielen wollen, liegt darin, dass Kontakte nur einzeln angenommen werden können und es begrenzte Annahmen pro Tag gibt. Auch die gesamte Kontaktanzahl ist begrenzt. Die genaue Zahl ist derzeit nicht bekannt. Daher scheint eine Nutzung auf “großer” Linie nicht praktikabel. 

Mit der Option "Discovery", teilt man aktuell sein BeReal global. Sollte hier noch eine Möglichkeit der Location-Einschränkung kommen, könnte das Ganze vor allem für Landes- und Kommunalpolitiker:innen interessant werden, um sich zum Beispiel in seinem Wahlkreis nahbar zu machen.

Ein BeReal-Account für politische Akteure kann - je nach Ausgestaltung - eine gute Methode sein, um Einblicke in den Politikbetrieb zu geben und die Menschen hinter den politischen Forderungen zu zeigen. Bei aller politischen Seriosität sollte nicht auf Spontanität verzichtet werden, denn sonst wirken Fotos schnell gestellt, "unecht" und nicht kanalgerecht. Letztendlich ist es ein Balanceakt ähnlich wie auf TikTok: zwischen Ernst- und Spaßhaftigkeit. Bei aller Authentizität sollte die "cringe"-Gefahr nicht vergessen werden. Als hilfreich hat sich hier erwiesen, dass Politiker:innen in ihren Online-Teams mit Menschen aus der Generation Z zusammenarbeiten oder sich von namhaften Agenturen wie "Project Z" beraten lassen.

CL on BeReal

Notifikation für limitierte Anfragen

BeReal im US-Wahlkampf

Ein US-Politiker hat die App trotzdem in seinem Wahlkampf verwendet. Der frühere Generalstaatsanwalt John Shapiro setzte BeReal (und vor allem auch eine um BeReal zentrierte Kampagne auf anderen Plattformen) in seinem Wahlkampf um den Gouverneursposten von Pennsylvania ein - und er gewann. Wie eng hier der Zusammenhang mit seiner BeReal Nutzung ist, bleibt aber mindestens fraglich.

Josh Shapiro on Twitter

BeReal: Fazit

Experimente mit BeReal in der politischen Kommunikation sind spannend. In der Kommunalpolitik sehen wir Chancen, genauso für Politiker:innen und Parteien, die sich sehr authentisch und nahbar gegenüber anderen "normalen" Parteimitgliedern geben wollen. Unsere Prognose: Eine weitere Plattform für große Social Media-Kampagnen, wie Instagram, Twitter oder Facebook, wird sich aus BeReal in absehbarer Zeit nicht entwickeln.

Sina Behrend
Sina Behrend
Junior Campaignerin

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