Social-Media-Analyse der Bundestagswahl 2025

Wahlkampf auf Social Media heißt heute: Knappe Botschaften, starke Bilder – und ganz viel Emotion. Wir schauen uns an, wie die Parteien und ihre Spitzenkandidat:innen im digitalen Wettstreit um Aufmerksamkeit abgeschnitten haben: Wer konnte auf welcher Plattform punkten? Welche Trends lassen sich erkennen – und welche Posts gingen wirklich viral?
Die Macht der Sichtbarkeit: Welche Plattformen dominierten?
Im digitalen Wahlkampf zeigte sich erneut: Wer Aufmerksamkeit will, muss dort präsent sein, wo die Menschen sind – und das war im Wahlkampf ganz klar Instagram. Keine andere Plattform sorgte für so viele Reaktionen. Alle Parteien konnten hier beachtliche Zahlen vorweisen: Zwischen Dezember und dem Wahltag verzeichneten Partei-Posts hier fast 15 Millionen Interaktionen – Likes, Shares und Kommentare. Damit setzte sich Instagram klar an die Spitze.
TikTok folgt mit rund 8 Millionen Interaktionen, bei einer besonders jungen Zielgruppe. Facebook und X (ehemals Twitter) kamen nur noch auf je etwa 3 Millionen Reaktionen – ein deutlicher Beleg für ihre sinkende Relevanz. Während Facebook vor allem ein älteres Publikum erreicht und TikTok als Spielfeld der Jüngeren gilt, bleibt Instagram die zentrale Bühne für politische Inhalte in Deutschland.
Nische: LinkedIn und Mastodon
Der gezielte Einsatz unterschiedlicher Plattformen kann strategisch sinnvoll sein, wenn er sich an Zielgruppen und inhaltlichen Schwerpunkten orientiert. So fanden CDU und FDP auf LinkedIn eine passende Bühne für wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Inhalte und nutzen sie regelmäßig. Andere Parteien zeigen sich dort deutlich zurückhaltender – die Grünen etwa nur vereinzelt, SPD und AfD gar nicht. Die Linken-Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek setzte hingegen als einzige auf Mastodon, ein alternatives, dezentrales soziales Netzwerk.
Die Linke im Höhenflug auf Instagram
Besonders erfolgreich war Die Linke. Auf Instagram generierte sie 5,8 Millionen Interaktionen, davon 4,4 Millionen in der heißen Wahlkampfphase ab dem 29. Januar. Der Auslöser: die Debatte um die Brandmauer. Am 29. Januar, dem Tag der kontroversen Abstimmung zum 5-Punkte-Plan der Union, erreichte Die Linke einen Spitzenwert an Interaktionen.
Auch Die Grünen fuhren eine sehr erfolgreiche Instagram-Kampagne. Mit 3,1 Millionen Interaktionen belegen sie Platz zwei. Auch hier lag der Peak rund um den 29. Januar, der Abstimmung zur Migrationspolitik.
Im Vergleich dazu blieb die CDU auf Instagram blass: 1,2 Millionen Interaktionen insgesamt, davon rund 700.000 in den letzten drei Wahlkampfwochen – ein spürbarer Anstieg erst ab dem 3. Februar.
Die SPD folgt mit 787.549 Interaktionen, von denen 519.000 in der heißen Wahlkampfphase stattfanden. Die FDP erzielte zwischen Dezember und der Wahl 693.816 Interaktionen, das Bündnis Sahra Wagenknecht kam auf 356.402.
TikTok: Die Linke setzt neue Maßstäbe
Den stärksten Aufschwung erzielte Die Linke allerdings auf TikTok: Mit fast 8 Millionen Interaktionen zwischen Dezember und Wahltag übertraf sie dort alle anderen Parteien und Kandidatenaccounts auf sämtlichen Plattformen. Während vor dem 11. Januar kaum Reaktionen erzielt wurden, begann danach ein rasanter Anstieg.
Die AfD dominiert X und Facebook
Auf den klassischen Plattformen X und Facebook konnte nur noch die AfD relevante Reichweite erzielen: Mit 2,3 Millionen Interaktionen auf X und 1,5 Millionen auf Facebook dominierte sie dort deutlich. Grund dürfte die ältere, konservative Zielgruppe sein, die diesen Netzwerken treu geblieben ist. Die öffentliche Unterstützung durch Elon Musk für AfD-Positionen auf X verstärkte die Aufmerksamkeit zusätzlich. Besonders auffällig: Alice Weidel erzielte mit 7,3 Millionen Interaktionen den höchsten Wert eines Kandidatenaccounts auf einer Plattform überhaupt.
Top Posts: Wo wurde am meisten interagiert?
Drei Beispiele zeigen, wie Plattformverständnis, Timing und Emotionalität gezielt zur Wirkung eingesetzt wurden. Dabei wird deutlich: Viralität ist heute kaum planbar. Was sich im Vorfeld aufwendig inszenieren lässt, wird oft von spontanen, authentischen Reaktionen überholt. Entscheidend ist, die gesellschaftliche Stimmung im richtigen Moment aufzugreifen – und dabei glaubwürdig und anschlussfähig zu wirken.
In ihrem erfolgreichsten Clips wendet sich Heidi Reichinnek auf TikTok direkt an junge Menschen: „Du bist 17 und hattest fest vor zu wählen – und dann kamen die vorgezogenen Neuwahlen. Jetzt darfst du doch nicht wählen. Ging mir auch schon so. Was jetzt? Reden wir drüber.“ Der kurze, nahbare Monolog traf einen Nerv, erzielte innerhalb weniger Stunden Hunderttausende Interaktionen und wurde massenhaft geteilt. Emotionalisierung funktioniert hier nicht über Pathos, sondern über Identifikation mit einer konkreten Alltagserfahrung – ein Paradebeispiel für plattformgerechte, mobilisierende Kommunikation.
Als Reichinnek eine Woche später in einer spontanen Rede im Bundestag auf die Abstimmung zur Migrationspolitik reagierte, war das kein Wochen im Voraus produzierter Hochglanzclip – sondern ein emotionaler Moment, der Millionen Menschen berührte und auf TikTok und Instagram viral ging.
Die FDP wiederum verwandelte einen Tortenwurf gegen Christian Lindner – ursprünglich ein Protestakt – in einen eigenen viralen TikTok-Post. Mit ironischer Brechung und klarer Botschaft wurde der Clip zum meistinteragierten Beitrag des gesamten Bundestagswahlkampfs 2025 – mit über 1,4 Millionen Interaktionen.
Auch das Reel der Grünen mit dem Titel „Ein kleines Zeichen“ demonstriert eindrucksvoll, wie wirkungsvoll strategische Emotionalisierung sein kann. Der aufwendig produzierte Clip, untermalt mit dem Lied „Oma“ von Marlo Großhardt, verzichtet bewusst auf Zahlen oder Programmpunkte und setzt stattdessen auf Haltung, Erinnerung und ein kollektives Gefühl. In Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Polarisierung traf das Video einen Nerv. Bemerkenswert ist, dass es seine politische Botschaft ausschließlich über Musik, Bildsprache und eine klare moralische Linie vermittelt – ganz ohne parteipolitisches Framing. Gerade das macht es so anschlussfähig, selbst für Menschen, die sich sonst kaum mit Politik beschäftigen.
Die Fälle zeigen eindrucksvoll: Viralität lässt sich kaum langfristig planen – sie entsteht dort, wo politische Botschaft, öffentlicher Moment und gesellschaftliche Aufmerksamkeit punktgenau zusammentreffen.
Die Bedeutung des Timings: Wann war der Wahlkampf am sichtbarsten?
Der Bundestagswahlkampf 2025 entfaltete seine sichtbarsten Momente nicht nur kurz vor dem Wahltag am 23. Februar – sondern bereits ab November, nach dem Bruch der Koalition.
FDP: Negativer Peak durch die D-Day-Affäre
Ende November schossen die Interaktionen rund um die FDP auf LinkedIn und anderen Plattformen in die Höhe – allerdings im Zuge der sogenannten D-Day-Affäre. Ein internes Strategiepapier wurde geleakt und sorgte für öffentliche Empörung. Die erhöhte Sichtbarkeit war keine strategische Stärke, sondern ein Krisenpeak – mit personellen Konsequenzen und deutlichem Vertrauensverlust.
AfD und Alice Weidel: Neue X-Allianzen
Ein weiterer Höhepunkt war im Januar 2025 auf X zu beobachten, ausgelöst durch den Livestream zwischen Alice Weidel und Elon Musk. Die Interaktionen konzentrierten sich fast ausschließlich auf Weidels persönlichen Account – ein Lehrbeispiel für personenzentrierten Plattform-Wahlkampf. Auch kurz vor der Wahl gab es auf Facebook starke Ausschläge – die AfD bleibt hier die auffälligste Kraft.
Die Linke: Sichtbarkeit auf visuellen Kanälen
Ende Januar verzeichnete Die Linke starke Interaktionen auf TikTok, Instagram und YouTube. Mit klaren Botschaften, schnellen Schnitten und niedrigschwelliger Sprache trafen sie den Ton jüngerer Zielgruppen – während Facebook und X bei ihnen nahezu keine Rolle spielten.
CDU und Grüne fuhren solide Kampagnen mit konstanter Präsenz, aber ohne extreme Peaks – ihre Strategien waren breiter gestreut, die Inhalte mehr auf Kontinuität und langfristige Glaubwürdigkeit ausgerichtet.
Fazit: Wahlkampf in Wellen
Der digitale Wahlkampf 2025 war kein kontinuierliches Crescendo – sondern ein Auf und Ab aus diskursiven Peaks, Plattformstrategien und medialen Krisen. Sichtbarkeit entstand oft durch Ereignisse, weniger durch langfristig aufgebaute Narrative. Wer die digitale Bühne dominieren wollte, musste nicht nur senden – sondern im richtigen Moment präsent sein.
Was polarisierte? Themen, die zündeten
Welche Themen spalteten im Bundestagswahlkampf 2025 die Gemüter? Unsere Analyse basiert auf Tausenden Wahlkampfposts, die systematisch nach Schlagwörtern und Hashtags untersucht und zehn thematischen Feldern zugeordnet wurden.
Was polarisierte nun am meisten? Nach Anzahl der Kommentare dominierten diese fünf Themen (unter Ausschluss von Sonstiges, da vielfältige, oft spontane Themen ohne klare Zuordnung) die Debatte:
- Justiz & politisches System – z. B. mit Debatten um Verfassung, Rechtsstaat & Demokratie.
- Renten & Soziales – stark diskutiert, vor allem durch linke Akteure.
- Verteidigung & Außenpolitik – kriegsbedingte Unsicherheit ließ die Diskussionen hochkochen.
- Wirtschaft & Jobs – v. a. durch Inflation, Unternehmenssteuern und Arbeitsmarktthemen getrieben.
Bildung und Umwelt waren kaum sichtbar, obwohl sie wahlstrategisch bedeutsam sein könnten. Einige Parteien setzten ganz bewusst auf konfliktträchtige Inhalte:
- BSW dominierte beim Thema Verteidigung. Beiträge von Sahra Wagenknecht zur NATO, Ukraine oder Friedensdiplomatie generierten besonders viele Kommentare – teils zustimmend, teils scharf ablehnend.
- AfD und Alice Weidel führten mit großem Abstand beim Thema Migration. Die Partei erzielte hier nicht nur viele Beiträge, sondern mit Abstand die meisten Kommentare - über 11 % ihrer Gesamtkommentare. Ein Zeichen hoher Emotionalisierung. Zudem sorgten Inhalte zu Justiz und politischem System für hohe Reaktionen – etwa bei Aussagen zur Meinungsfreiheit oder Verbotsverfahren.
- Friedrich Merz fiel auf, weil er persönlich öfter zu Migration postete als der CDU-Parteikanal – ein strategischer Versuch, eigene Akzente zu setzen oder die Union weiter nach rechts zu profilieren.
- Die Linke setzte auf soziale Gerechtigkeit und Rentenpolitik – Themen, die auf ihren Kanälen hohe Resonanz zeigten, besonders auf TikTok und Instagram. Hier kamen 29% der Kommentare zustande. Auch sie war stark in der Kategorie Justiz & Rechte vertreten, was auf ihre Positionierung zu Demokratie, Grundrechten und Antifaschismus hinweist. Die beiden erfolgreichsten Parteien auf Social Media – gemessen an der Kommentaranzahl – waren AfD und Die Linke. Doch sie polarisierten mit unterschiedlichen Inhalten.
Diese gezielten Schwerpunktsetzungen zeigen, wie Parteien Social Media nutzen, um Emotionalität zu erzeugen – und Reichweite. Polarisierung war dabei oft kein Nebeneffekt, sondern Strategie.
Der Wettlauf um Follower: Parteien vs. Persönlichkeiten
Gesichter vor Logos: Personalisierung wirkt
TikTok, Instagram und X wurden zur Arena für Politikstars. Ob Linke, Grüne oder AfD: Über alle Parteien hinweg erzielten Spitzenkandidat:innen deutlich mehr Engagement als offizielle Partei-Accounts. Nutzer:innen interessieren sich zunehmend für Gesichter statt Logos. Ein Beispiel: Heidi Reichinnek (Die Linke) wuchs auf Instagram von 76.000 auf fast 487.000 Follower, auf TikTok auf über 580.000. Die Partei profitierte also nicht zuletzt von der starken Einzelmarke ihrer Kandidatin: Die Linke konnte ihren Instagram-Kanal von rund 151.000 auf über 414.000 Follower steigern, auf TikTok wuchs sie von 48.700 auf 377.000
Auch Alice Weidel trug den Wahlkampf der AfD digital fast allein. Auf X verdoppelte sie ihre Follower auf über eine Million. Auf TikTok kam sie auf 938.000, auf Instagram auf 526.000. Während der AfD-YouTube-Kanal von 286.000 auf 334.000 Abonnenten zulegte und der X-Account von 295.000 auf 427.000 wuchs.
Robert Habeck (Grüne) wuchs auf Instagram auf 424.000 und steigerte sogar seine YouTube-Abonnenten von 7.500 auf 80.000, vor allem mit persönlichen Ansprachen. Auch das ein Zeichen dafür, dass persönliche Ansprache stärker zieht als generische Parteikommunikation. Friedrich Merz (CDU) verzeichnete auf Instagram moderate Zuwächse. Auch die CDU selbst verzeichnete kaum Bewegung. Olaf Scholz (SPD) fiel sogar durch rückläufige Followerzahlen auf, insbesondere auf X – ein seltener Negativtrend in einem Wahlkampf.
Die FDP blieb insgesamt auffällig unauffällig. Lediglich auf LinkedIn konnte sie ihre Followerzahl leicht steigern – von 17.500 auf knapp 20.000. Auf anderen Plattformen stagnierte sie weitgehend, auch die Accounts von Spitzenpersonen blieben im Schatten der großen Player.
Eine besondere Rolle spielte Sahra Wagenknecht, die bereits vor der Gründung des BSW über starke Social-Media-Kanäle verfügte. Zwar war sie mit Abstand die reichweitenstärkste Figur auf Facebook und YouTube, doch während des Wahlkampfs gingen ihre Zahlen leicht zurück – ein Indiz dafür, dass frühzeitig aufgebaute Reichweite nicht automatisch auch in neuerlicher Mobilisierung mündet.
Sichtbarkeit folgt Strategie
Der Wahlkampf 2025 glich keinem stetigen Aufstieg, sondern verlief in einer Abfolge pointierter Höhepunkte. Sichtbarkeit war kein Selbstläufer – sie entstand durch strategisch platzierte Themen, durch die Fokussierung auf Persönlichkeiten statt Parteistrukturen und durch die bewusste Wahl der passenden Plattform zur richtigen Zeit. Wer im digitalen Raum Relevanz erzielen wollte, musste nicht nur laut sein, sondern präzise, emotional anschlussfähig – und vor allem zum richtigen Zeitpunkt präsent.
Fazit: Die Lücke zwischen digitaler Sichtbarkeit und Wahlerfolg
Darüber hinaus hat der Bundestagswahlkampf 2025 deutlich gemacht, dass eine starke Social-Media-Präsenz nicht automatisch in einen Wahlerfolg mündet. Während Die Linke ihre Reichweiten auf Plattformen wie TikTok und Instagram erfolgreich in Stimmen umwandeln konnte, blieben andere Parteien trotz hoher Online-Interaktionen ohne nennenswerten Erfolg an der Urne. Besonders die Grünen fuhren eine virale Kampagne mit emotional starken Inhalten – doch ein Wahlerfolg blieb aus. Die CDU wiederum war auf Social Media eher zurückhaltend präsent, konnte aber die Wahl gewinnen.
Diese Entwicklung lässt sich nur verstehen, wenn man den digitalen Wahlkampf im Kontext des gesamten politischen Wettbewerbs betrachtet. Auch wenn Social Media heute eine wichtige Rolle spielt, bleibt der klassische Wahlkampf mit Plakaten, Marktplatzauftritten und Fernsehdebatten für viele Wählerinnen und Wähler weiterhin entscheidend. Vor allem ältere Generationen – eine große und wahlentscheidende Gruppe – sind online deutlich weniger aktiv. Viele von ihnen haben stabile Parteibindungen und lassen sich stärker durch persönliche Ansprache oder klassische Medien beeinflussen.
Jüngere Zielgruppen – vor allem Jung- und Erstwähler – sind auf Plattformen wie TikTok, Instagram und YouTube gut erreichbar, aber politisch weniger gefestigt und nicht immer zuverlässig mobilisierbar.
Hinzu kommt: Algorithmen begünstigen vor allem emotionale, polarisierende Inhalte, was oft Reichweite bringt, aber nicht zwingend neue Wählerstimmen. Es bleibt unklar, wie groß der tatsächliche Einfluss von Social Media auf Wahlentscheidungen ist – belastbare Daten fehlen bislang.
Daraus folgt: Sichtbarkeit allein reicht nicht. Erfolgreiche Wahlstrategien müssen digitale Reichweite mit Glaubwürdigkeit, langfristigem Vertrauen und klassischer Präsenz verbinden – denn entscheidend bleibt, wer am Ende wirklich wählen geht.